close

Raum für große Gefühle

Liesa und Christian Verwohlt werden in der barocken Kirche in Zwillbrock heiraten. Ein magischer Ort, der zu ihren Gefühlen passt. Aber kitschig darf es trotzdem nicht werden

Tauben werden nicht in den Himmel fliegen. Und Blumen oder Reis soll es auch nicht regnen. Liesa und Christian Verwohlt sagen, dass die Klosterkirche in Zwillbrock auch so genügend Ausstrahlung hat. Sie wollen bei ihrer Hochzeit im Juni deshalb auf schmückendes Beiwerk verzichten. „Die Grenze zum Kitsch kann sonst schnell überschritten werden“, sagt der Bräutigam. Eine
Puderzucker-Hochzeit mit viel Rosa oder bunten Luftballons
– auf keinen Fall. „So wie im Hollywood-Film? Bloß nicht!“

Die Barockkirche im Westmünsterland hätte aber das Zeug für so einen Auftritt. Wohin man auch schaut: Stuck, Marmor, Gold. Ein wenig wie im Märchen, wenn die Kutsche vorfährt und die Prinzessin an der Hand des Vaters durch den Mittelgang schreitet. Auch bei der üppigen Orgel von 1720, eingerahmt von einer Heerschar aus Engelchen, könnten dann alle Register gezogen werden – von lieblichen Flöten bis zu schmetternden Trompeten.

Das junge Paar aus dem benachbarten Vreden will genau das nicht. „Dann würde die Kirche zur reinen Kulisse“, sagt die 30-jährige chirurgisch-technische Assistentin bei einer Besichtigung. „Und unsere Hochzeit zu einer Aufführung.“ Gestellt, oberflächlich und inszeniert darf es nicht sein. „Nicht an so einem Tag, da muss alles ehrlich sein.“

Die künftige Braut dreht sich einmal im Kreis, um die Wirkung des mächtigen Kirchenraums zu genießen. Die Farben, die Schnörkel und der Glanz des Barocken passen zu ihren Gefühlen für ihren lang ersehnten Tag: „Weil dieser Raum etwas Größeres vermittelt – etwas, das über dem liegt, was wir in der Hand haben.“ Wie ein Stück Himmel, vom siebten Himmel – mit Blattgold und Alabaster.

„Magie“ nennen das beide. Es ist ganz anders als bei ihrer standesamtlichen Hochzeit im vergangenen Jahr. „Hier geht es nicht um Dokumente, um Steuerklassen oder um die Party mit unseren Freunden und Verwandten“, sagt der 33-jährige Bauingenieur Christian. „Hier geht es ganz allein um unsere Liebe.“ Die es schon lange gibt: Vor elf Jahren wurden sie ein Paar. Sie kannten sich bereits als Jugendliche, verloren sich aus den Augen, fanden sich über das Internet wieder, pendelten zwischen ihren Ausbildungsorten hin und her, bis sie in Vreden zusammenzogen. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich zum nächsten Schritt entschieden. Liesa zeigt lachend auf ihren Bräutigam: „Lief alles ganz gut – die Hochzeit in der Kirche war dann seine Idee.“ 
Es war also der Bauingenieur, der romantisch wurde. „Klingt komisch, oder?“ Er grinst. Einer, der Tag für Tag rechnet, misst und plant. „Statik hat nichts mit Gefühlen zu tun.“ In der Liebe aber gelten andere Gesetze. Und irgendwann war für ihn der Zeitpunkt gekommen, das noch einmal deutlich zu zeigen „Das ist jetzt ein ganz anderes Level, das wir erreichen.“ Verantwortung, Rücksicht und Aufmerksamkeit in einer neuen Dimension. „Wir haben diesen Punkt in unserem Leben erreicht.“ Ein Punkt, zu dem auch ein Ort gehört, der diesem Gefühl gerecht wird.

Genau dort kommt ins Spiel, was sie „Magie“ nennen. Das Gefühl, nicht mehr rechnen und planen zu wollen, sondern auf die Liebe vertrauen zu können. Der Glaube ist dabei wieder Thema geworden. Eigentlich hatten sie damit nicht mehr viel am Hut. Nach Erstkommunion und Firmung war die Kirche für sie zur No-Go-Area geworden. Schon wegen der vielen negativen Schlagzeilen. Manchmal gingen sie zu Taufen und Hochzeiten in Gottesdienste. Mehr nicht.

Und jetzt stehen sie in der Barockkirche und fühlen sich irgendwie zuhause. „Unsere Gefühle passen hierher“, sagt sie. „Ein Ort, an dem Übermenschliches spürbar wird.“ Höheres, das bei beiden durchaus geerdet ist. Wenn sie von ihrem Ehevorbereitungskurs in ihrer Heimatgemeinde St. Georg in Vreden erzählen, ist das herauszuhören. „Hätten wir gewusst, dass der Kurs nicht verpflichtend ist, wären wir gar nicht hingegangen“, sagt er. „Aber ehrlich – wir hätten etwas verpasst.“

Lebensnah seien die zwei Tage gewesen, eine unverhoffte Auszeit zum Nachdenken. Als sie bei einer Übung mit verbundenen Augen von ihm durch das Gemeindehaus geführt wurde, merkten sie, dass sie beim gegenseitigen Vertrauen noch Nachholbedarf hatten. „Es war eine richtig gute Paar-Therapie mit vielen Alltags-Tipps.“ Er grinst und blickt sich noch einmal um. „Und hat nur zehn Euro gekostet – das gibt es wohl nur in der Kirche.“

Lange dauert es nicht mehr bis zum großen Tag. „Dann zählt nur die Liebe.“ Besonders wenn sie in dieser Kirche stehen. „Auch mein Kleid wird dazu passen“, sagt Liesa. „Ich habe der Schneiderin gesagt, dass es zur Barockzeit passen muss.“ Ein barockes Kleid? Ihr Mann schaut skeptisch: „Aber doch kein Rosa, oder?“ Nein, die Linie zum Kitsch wird sie nicht überschreiten. Sie lacht: „Aber mehr darf ich natürlich nicht verraten.“