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Oma ist verliebt

Warum sich ein Paar kurz vor der Rente vom Leben beschenkt fühlt.

Oma hatte wieder Dates. Petra Dyck lacht. „Ja, genauso war es.“ Verabredungen im Café, im Kino, Spaziergänge im Wald. „Waren das eigentlich noch Dates?“ Volker Wellmann schaut fragend. Seine Frau nickt. „Doch! Wir mussten uns ja erst einmal besser kennenlernen.“ Er sieht sie an und lächelt. „Stimmt.“

Petra Dyck und Volker Wellmann – ein Liebespaar über 60. Beide seit Jahren allein, beide mehr oder weniger ergraut, beide kurz vor der Rente. Sie mit sechs Enkelkindern und er ohne. Seit Dezember sind sie verheiratet.

Die Frühlingssonne scheint auf den Tisch der kleinen Wohnküche im oldenburgischen Vechta. Auf dem Klavier ein Bändchen mit Liebesgedichten von Hermann Hesse. Es duftet nach frischem Kaffee, als die beiden von ihrem späten Glück erzählen – und wie alles begann.

Zwei Jahre ist das jetzt her. Petra Dyck wollte eigentlich nur einen Termin beim Heilpraktiker im Nachbarort. Die Stimme am Telefon war ihr gleich sympathisch. „Ich hatte irgendwie ein gutes Gefühl“, sagt sie, „konnte mir aber nicht erklären, warum.“

Was sie da noch nicht wusste: Auch Volker Wellmann war nach dem ersten Telefonat ziemlich gespannt auf seine neue Patientin. „Da war eine ganz tiefe Freude in mir.“ Und auch er fragte sich: Warum eigentlich? Dann die Begegnung. „Das Äußere war gar nicht das Ausschlaggebende“, sagt der Mann mit dem grauen Bart. „Aber ihr Lächeln – da war es um mich geschehen.“ Dazu die vielen ähnlichen Erfahrungen: dieselbe Lieblingsinsel Juist, beide seit Jahren allein, beide leidenschaftliche Hobby-Musiker. Wellmann staunt: „So viele Ähnlichkeiten. Es war direkt unheimlich – unheimlich schön.“ Auch Petra Dyck ist vom ersten Moment an verzaubert. „Zum Abschied habe ich ihn spontan umarmt.“ Damals noch aus Dankbarkeit.

Nach dem dritten Termin fasst sich Volker Well-mann ein Herz und fragt: „Geht es dir genauso wie mir?“ Ihre Antwort ist so eindeutig, dass er das Therapeutenverhältnis zwischen ihm als Heilpraktiker und seiner Patientin sofort für beendet erklärt. Aus der Behandlung ist eine Beziehung geworden.

Alles passt. Als die Familie kurz danach Petra Dycks neuen Partner kennenlernt, freuen sich alle mit: „Ihr kommt uns vor, als wärt ihr schon ganz lange zusammen.“ Ein Enkel malt Omas neuem Freund ein Bild mit der Aufschrift „Opa 2.0“.

Und das Herz geht Volker Wellmann auf, als der Sohn seiner neuen Partnerin sagt: „Ich freue mich so für meine Mutter!“ Acht Jahre liegt ihre letzte feste Beziehung jetzt zurück. Und oft genug hatte der Sohn sie bestärkt: „Mama, meinst du nicht, du könntest noch mal jemanden finden?“ Er hatte sich das immer für seine Mutter gewünscht.

Einmal hatte sie sich bei einer Online-Partner-börse angemeldet, traf sich auch mit einem Mann, der nach den Kriterien der Agentur perfekt zu ihr hätte passen müssen. Aber nach ein paar Treffen verlief die Sache im Sande. Also doch keine Beziehung mehr? Eigentlich gefiel ihr das Leben auch so: ihr Job im Altenheim, das Musizieren mit behinderten Menschen. Abende mit Freunden bei Konzerten oder im Kino. Dazu ihr Garten, Sonne, Natur, unverplante Wochenenden. „Ich hatte einen Punkt innerer Unabhängigkeit gefunden, war mit mir im Reinen.“

Trotzdem spürte sie immer auch eine letzte Offenheit für das, was sie ihren „Herzenswunsch“ nennt. Dass sie irgendwann doch noch dem Richtigen begegnen könnte. Trotz zweier schwieriger Beziehungen. Ihrem neuen Partner ging es ähnlich.

Was ist bei einer Partnerschaft im Alter einfacher? „Ich kann den anderen leichter so annehmen, wie er ist“, sagt Petra Dyck. „Auch mit seinen kleinen Macken. Nach dem Motto: Du bist du, und ich bin ich.“

Ihr Mann nickt: „Das Ego spielt keine so große Rolle mehr. Man muss nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand, sondern kann gelassener bleiben.“ Beide fühlen sich durch ihr spätes Glück beschenkt. Beide spüren auch, wie kostbar Zeit für sie ist. „Natürlich wissen wir, dass unser Leben begrenzt ist.“ Im Altenheim hat Petra Dyck das täglich vor Augen.

Im vergangenen Dezember haben sie geheiratet, im kleinen Kreis auf dem Standesamt in Diepholz. Seine Frau strahlt: „Als er mich gefragt hat, habe ich spontan Ja gesagt.“

Der Entschluss sei aus tiefster Seele gekommen, ergänzt ihr Mann. „Aber wir haben ja auch ein gewisses Alter. Und zum Beispiel im Fall einer Krankheit ist manches für verheiratete Paare einfacher.“ Dazu kommt die gegenseitige finanzielle Absicherung. „Aber das stand nicht im Vordergrund“, betont er. Ringe tragen sie nicht. Ihre Namen haben sie behalten. Und auch ihre getrennten Wohnungen. Die Ehefrau ihre Einliegerwohnung mit Garten in Vechta, ihr Mann seine Eigentumswohnung im zehn Autominuten entfernten Diepholz.

Vorerst leben sie eine Art Pendel-Ehe. Unter der Woche schläft jeder in seinen eigenen vier Wänden. Die Wochenenden verbringen die beiden zusammen. Dann kochen sie auch gemeinsam. Oder Volker Wellmann setzt sich ans Klavier, und die beiden singen ihr gemeinsames Lieblingslied: „La Mer“, ein französisches Chanson.

Volker Wellmann schwärmt von der Spannung durch die räumliche Trennung. Von der Anziehungskraft und immer neuer Vorfreude. „Wenn ich von ihrem Grundstück fahre, vermisse ich sie schon wieder.“

Vielleicht ziehen sie auch mal zusammen, wenn sie in Rente sind. Aber ganz ohne Abstand geht es nicht. Dann wird es ein Zwei-Familien-Haus mit getrennten Wohnungen.