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Kennen Sie die Liebe, Bruder Stefan?

Bruder Stefan Walser wurde 1980 in Ravensburg in Oberschwaben geboren. Nach dem Abitur studierte er Theologie in Salzburg, Nairobi und Münster, wo er auch die Kapuziner kennenlernte. 2006 trat er in den Orden ein, arbeitet heute als Dozent an der Hochschule der Kapuziner in Münster und als Seelsorger. Das Kloster liegt mitten in der Stadt. Die Kapuziner beziehen sich auf den heiligen Franz von Assisi (1181-1226), ihre Gemeinschaft wurde 1528 gegründet.

Warum sind Sie ins Kloster gegangen?
Ich komme aus Oberschwaben, bin katholisch aufgewachsen, auch wenn ich nicht immer superfromm war oder Priester werden wollte. Ich wusste nicht, ob es Gott gibt, hatte viele Zweifel Aber ich wusste wohl: Das, worum es in der Kirche geht, das ist irgendwie total bedeutsam. Das ist alles wichtiger als, was weiß ich: welche Klamotten ich trage. Wenn es wirklich einen gibt, der mich vollkommen liebt – dann ist das schon ein großes Ding.

Deshalb muss man ja nicht gleich Kapuziner werden.
Stimmt, aber ich wollte dem auf den Grund gehen. Also habe ich angefangen, Theologie zu studieren – in Müns­ter, ganz normal. Ich habe mit drei Frauen in einer WG gewohnt, hatte meine Freunde, habe gelernt und auch Party gemacht. Irgendwann ist mir klar geworden: Wenn es um Gott geht, braucht das auch Praxis, nicht nur die Theorie im Studium. Ich wollte mehr erfahren – im Kloster, weil da Menschen nicht nur über Gott reden, sondern jeden Tag mit ihm sprechen, wenn sie beten. Also habe ich mir verschiedene Gemeinschaften angesehen. Das war ein bisschen wie bei der Partnerwahl: Wer passt zu mir, mit wem fühle ich mich wohl? So bin ich bei den Kapuzinern gelandet.

Wenn Freunde von Ihnen heiraten, Sie trauen sie sogar – und abends nach der Feier gehen Sie allein in Ihre Klosterzelle zurück: Wie geht es Ihnen da?
Ich bin in der Tat bei manchen Hochzeiten sehr eng mit dem Brautpaar verbunden. Darum weiß ich auch, dass sie auch Zweifel haben, dass sie menschlich, sexuell, geistig nicht immer vollends befriedigt sind, obwohl sie sich natürlich lieben. Aber ich freue mich natürlich für sie, und manchmal empfinde ich schon so was wie Neid. Aber ich fahre deshalb nach der Hochzeitsparty nicht traurig nach Hause. Ich kann ja zum Beispiel viel freier mit meiner Zeit umgehen als sie. Wenn ich sehe, wie viel Kraft Freunde für Partnerschaft und Familienleben aufwenden müssen – Respekt! Da weiß ich, wie wertvoll es ist, dass ich abends die Tür hinter mir zumachen kann und für mich bin.

Kennen Sie die Liebe?
Ich denke schon. In vielfältiger Form, aber auch die Liebe zu Frauen. Ich bilde mir nicht ein zu wissen, wie es ist, zehn Jahre mit einer Frau zusammen gewesen zu sein. Aber: Es gab ja auch ein Leben, bevor ich mit 25 ins Kloster gegangen bin.

Wie gehen Sie mit Sehnsucht nach Nähe, Zärtlichkeit, Sexualität um? Das kann man ja nicht abstellen.
Zum Glück! Mit der Sehnsucht nach Sexualität werde ich nie fertig, das bleibt schwierig. Ich bin froh, dass es so ist, weil Sexualität einfach eine große, wichtige Kraft ist. Allerdings, und das merken wir ja in der katholischen Kirche gerade ziemlich schmerzlich: Für Menschen, die im Zölibat leben, ist es unendlich wichtig, ehrlich mit der eigenen Sexualität umzugehen. Wenn ich auf genitale Sexualität verzichte, heißt das ja nicht, dass ich keine Zärtlichkeiten erfahren, enge Beziehungen aufbauen und Schönes mit anderen Menschen erleben kann: Musik, ein schönes Abendessen, Sport … Für mich ist das ganz wertvoll.

Sie lieben eben Gott. Ist das nicht ziemlich schwer, wenn man ihn weder sehen noch anfassen kann?
Das ist in der Tat schwer. Das Entscheidende ist, dass ich geliebt werde. Ich kann Gott nicht beweisen, aber ich habe es so erfahren und vertraue auf die Bibel, die Kirche und Menschen, die mir das bezeugen. Zwar gehören zu einer Beziehung sicherlich Geben und Nehmen, aber bei Gott ist auf jeden Fall klar, dass ich vor allem nehmen darf: seine Liebe zu mir. Ich bin von ihm bejaht, ich muss mir keinen Stress machen und mich immer wieder fragen, ob der andere mich auch wirklich liebt. Gott liebt mich, davon bin ich überzeugt. Noch bevor ich überhaupt dazu komme, ihn zu lieben.

Warum muss man dafür ins Kloster gehen?
Muss man ja nicht. Für mich ist es richtig. Ich würde niemals behaupten, dass man im Kloster mehr von Gott geliebt wird. Aber ich würde schon sagen: Wer ins Kloster geht, muss keine Abstriche bei der Liebe machen. Liebe ist ja nicht nur Sexualität.