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Klosterburg statt Golden State

Wie eine junge Frau aus Kalifornien in einem kleinen Kloster im Oldenburger Land glücklich wurde.

Die Berge, der Pazifik, Yosemite-Nationalpark, riesengroße grüne Reisfelder – und vor allem die San Francisco Giants!“ Makrina Finlay überlegt nicht lange, was ihr als Erstes einfällt, wenn sie an ihre Heimat denkt. „Wir sind eine Baseball-Familie, müssen Sie wissen. Ich habe selber Softball gespielt, das ist die Frauenvariante.“ Die das mit großem Strahlen und sympathischem Mini-Akzent erzählt, ist waschechte Kalifornierin, bis heute begeisterte Joggerin, 43 Jahre alt – und seit 15 Jahren Nonne in einem kleinen Kloster im Oldenburger Land: in der Benediktinerinnenabtei Dinklage, einer idyllischen Wasserburg in Fachwerk und Backstein, früher Sitz der Adelsfamilie von Galen. Drumherum dichter, hoher, dunkler Wald und eine idyllische Gräfte, auf der fröhlich einige Enten paddeln. Zum blauweiß gestreiften Burgtor führt eine schlichte Holzbrücke. Golden Gate ist etwas anderes.

Schwester Makrinas Heimat liegt fast 10.000 Kilometer westlich von hier. Yuba-City, ein Städtchen mit knapp 70.000 Einwohnern, zwei Autostunden nordöstlich von San Francisco. In Yuba-City leben zwar immerhin fünfmal so viele Menschen wie in Dinklage, „aber es ist alles immer noch ziemlich ländlich geprägt“, erzählt sie. „Ich liebe das viele Obst und Gemüse, das dort angebaut wird. Tomaten schmecken nunmal anders, wenn sie in einem so heißen Land wie Kalifornien wachsen.“ Sie schwärmt von Pool und Grillparties der Familie, mexikanischem Essen, den riesigen Kühlschränken und Vier-Liter-Milchflaschen darin. Sie erzählt von Wanderungen durch den Redwood-Nationalpark: „In Kalifornien sind die meisten Bäume viel älter als die Häuser.“ Und wie sehr sie die Ausflüge nach San Francisco liebte: „Fisherman’s Wharf, Chinatown, Cablecars – und natürlich den Giants Baseball Oracle Parc!“
Da lacht sie laut, und einige widerspenstige dunkle Haare krabbeln unter ihrem großen schwarzen Schleier hervor. Ihr ganzes freundliches Gesicht hüllt er ein und wallt bis weit über die Schultern – die klassische Tracht der Schwestern vom Orden des heiligen Benedikt (480-547). 22 von ihnen leben mit Makrina in Dinklage. Die jüngste ist 37, die älteste 94. Im Sommer hat eine ihr 70-jähriges Ordensjubiläum gefeiert.

Kalifornien, Golden State, Sonnenstaat und Sehnsuchtsland an der amerikanischen Westküste: Schon vor 150 Jahren zog es die Menschen dorthin. Nach Marysville, Yuba-Citys Nachbarstadt zum Beispiel, damals ein Zentrum der Siedler während des Goldrauschs. Und bis heute gilt der Staat als Traumziel europäischer Reisender – ­wegen San Francisco, Big Sur und Hollywood, wegen der Pazifikstrände und Nationalparks, der Sonne, der Toleranz, der Freundlichkeit der Menschen, und weil im Silicon Valley Apple, Facebook und Google an der Zukunft der Welt basteln. Schwester Makrina erinnert sich auch gern an Los Angeles, da hat sie Geschichte studiert.

Aber ihre Sehnsucht ging in eine andere Richtung. Nach Osten. Nach Oxford. Erst mal. – Warum nur? „Och“, sagt sie, „Oxford ist ja nun auch nicht gerade hässlich. Und wenn man schon die Chance hat, dort zu promovieren – dann greift man doch wohl zu!“ Dort jedenfalls lernte sie Benediktiner-Mönche kennen. Sie selber gehörte von zuhause der „Kirche des Nazareners“ an, einer christlichen Gemeinschaft, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Texas gegründet wurde. Doch für sie war das noch nicht alles: „Es kann nicht sein, dass es nur mich, Jesus und die Bibel gibt.“ Makrina wollte weiter denken, „universeller“ nennt sie das. Sie suchte und tastete – und entschied sich. „Als ich katholisch wurde, waren die eine Hälfte der Mitfeiernden die Mönche. Und die andere Hälfte waren Freundinnen aus allen Weltreligionen: Eine war Hindu, eine war Jüdin, eine Mormonin, eine mit muslimischem Background, eine Atheistin …“

Über die Mönche hörte sie von Mutter Máire. Einer Benediktinerin aus Irland, die aber ein deutsches Kloster leitete – in Dinklage. „Eine tolle Frau, ein toller Ort, da musst du hin“, hätten sie ihr damals gesagt. Als Schwester Makrina 2003 zum ersten Mal über die hölzerne Brücke auf das blauweiße Tor der Abtei zuging, war ihr klar: „Ich bin in einem fremden Land, ich spreche die Sprache nicht – aber ich fühle mich sehr hingezogen zu diesem Ort.“ Zwei Jahre später entschied sie sich wieder und wurde Nonne. Seitdem lebt die Frau aus dem Golden State in der Klosterburg von Dinklage, im Oldenburger Münsterland – mit einem Wassergraben statt Pazifik und definitiv kühleren Temperaturen als in Yuba-City mit seinen sonnengereiften Tomaten.

Fehlt ihr Kalifornien denn so gar nicht? Schwes­ter Makrina kräuselt die Lippen. „Es geht weniger darum, dass ich meine Heimat verlassen habe.“ Einen Moment denkt sie nach. „Es geht darum, dass ich hier sein muss. Hier in Dinklage, in dieser Gemeinschaft.“ Hin und wieder, so alle zwei Jahre, sei sie ja auch in den USA, bei den Eltern und weil sie einen Lehrauftrag für Kirchengeschichte in Minnesota habe. Aber für sie sei einfach klar: „Ich bin ja hier nicht, weil mich jemand zwingt. Sondern: Wenn ich wirklich auf meine innere Stimme, auf Gott höre, dann merke ich, dass es hier etwas gibt, das für mich notwendig ist.“

Und wie ist es mit der Sehnsucht nach Beziehung, nach Familie? „Jeder, der wie ich Mitte vierzig ist, erlebt das, wenn er sich irgendwie gebunden hat: Über die Zeit muss man lernen, wie man damit umgeht, wenn man sich in jemand anderen verliebt.“ Schwester Makrina neigt den Kopf und lächelt. „Das gehört zum Leben! Aber dann ist es wichtig, dahin zurückzukehren, wo ich meine Treue versprochen habe. Das genügt, glauben Sie mir.“
Schwester Makrina ist angekommen. Sie hat sich für immer für das Kloster in der Wasserburg entschieden. Für diese Gemeinschaft, für ein Leben mit Gott, mit Arbeit und mit täglich mehreren Gottesdiensten – in der rustikalen Klosterkirche, die früher mal der Stall war. Hat sie denn gar keine Sehnsucht mehr?

„Doch!“, sagt sie und hätte beinahe mit der flachen Hand auf den Tisch gehauen. „Ich habe eine große Sehnsucht.“ Und dann erzählt sie von den Flüchtlingen in Dinklage. Jesiden aus dem Irak sind sie – Angehörige einer Religion, die älter ist als Christentum und Islam. In ihrer Heimat verfolgt. Als 2015 so viele Menschen auf der Flucht waren, haben die Schwestern ihr Gästehaus geöffnet und einige aufgenommen. „Einer von ihnen fragte mich: ‚Hast du Familie hier?‘“, erzählt Schwester Makrina. „Ich antwortete: ‚Nein.‘ Und er entgegnete: ‚Dann will ich dein Bruder sein.‘ Das hat mich sehr bewegt.“

Und dann erzählt sie noch einmal von Kalifornien, wohin sie, wenn sie wollte, trotz Klosterlebens reisen könnte. Sie erzählt von Paradise, einer Stadt mit um die 100.000 Einwohnern, die 2018 durch einen Waldbrand völlig zerstört wurde. Der verheerendste in der kalifornischen Geschichte. Heute sei der Ort fast vollständig wieder errichtet. „Aber unsere jesidischen Brüder hier“, sagt sie energisch, „die können nicht zurück. Sie können nicht zurück, um ihre Stadt wieder aufzubauen.“ Sie atmet durch, und leise, aber entschieden spricht sie weiter: „Diese Menschen sprechen mit einer so unglaublich großen Sehnsucht von ihrer Heimat! Sie sind nur hier, weil sie dort keine Chance haben. Ist das nicht genug? Ich will, dass wir helfen! Das ist meine Sehnsucht.“