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Viel mehr als Peng und Prost

An Schützenvereinen scheiden sich die Geister. Außenstehende sprechen schnell mal von „verstaubten Männergesellschaften“, denen es nur um Schießen, Feiern und Biertrinken geht. Für die meisten der rund 400.000 Mitglieder der knapp 1.300 katholischen Bruderschaften in Deutschland ist Schütze sein viel mehr – eine Herzenssache. Nicht nur zum Schützenfest.

Frauen nur in der zweiten Reihe? Von wegen! In Schneiderkrug zum Beispiel regiert eine Schützenschwester die Bruderschaft. Seit zwei Jahren steht Andrea Ferneding als so genannte Brudermeisterin an der Spitze der seit mehr als 200 Jahre bestehenden St.-Johannes-Schützen in ihrem Dorf im Landkreis Cloppenburg. Einstimmig hatten die Mitglieder sie gewählt. Im selben Jahr wurde sie auch Schützenkönigin im Dorf, schon die dritte in der 200-jährigen Geschichte der Bruderschaft.
„Irgendwann benötigen wir wohl einen Männerbeauftragten“, hatte ihr Stellvertreter im Vorstand damals scherzhaft gemeint. Andrea Ferneding lächelt, als sie davon erzählt. Das Männer-Frauen-Ding ist kein Thema unter den rund 330 Schützen.
Lustig funkeln ihre Augen unter ihren rot gefärbten Haaren hervor. Der knallig leuchtende Schopf ist das Erkennungszeichen der 43-Jährigen und ein erfrischender Kontrast zur grünen Uniformjacke. Quasi eine symbolische Verbindung von Moderne und Tradition. Denn die ist ihr wichtig, auch die Verbundenheit zur Kirche.
„Sonst bräuchten wir uns nicht Glaube-Sitte-Heimat als Motto zu nehmen“, sagt die ledige Frau. „Es gibt ja auch nichts Schöneres als den Auftakt-Gottesdienst beim Schützenfest, mit großem Zapfenstreich und Musikverein.“ Der müsse ebenso erhalten bleiben wie der traditionelle Gottesdienst am Sebastianstag.
In anderen Fragen dagegen könnten manche Bruderschaften durchaus mehr mit der Zeit gehen, meint sie. Frauen in ihrem Dorf hätten das schon 1977 vorgemacht. Sie gründeten damals eine eigene „Frauenkompanie“, zu einer Zeit, als das für viele Schützenvereine noch ziemlich unvorstellbar war.
Insgesamt 1.300 kirchliche Schützenbruderschaften zählt der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BDHS) in Deutschland. Rund 400.000 Männer und Frauen gestalten darin miteinander Freizeit und Vergnügen, aber längst nicht nur das.
Wer sich bei Verantwortlichen im Verband und in den Bruderschaften umhört, gerät schnell ins Staunen. Schützen helfen, Schützen packen mit an, Schützen setzen sich ein. Für Matthias Trienekens aus Wachtendonk am Niederrhein gehört dazu durchaus auch die Organisation eines Schützenfestes. „Wenn ein ganzes Dorf auf den Beinen ist, die Häuser schmückt und Fahnen raushängt, dann entsteht dabei Gemeinschaft“, sagt der 65-Jährige: „Wenn das fehlen würde, wäre das Leben auf dem Land wohl ziemlich trostlos.“
Aus seiner Arbeit als Delegierter im Caritativen Ausschuss des BDHS-Bundesverbands hat Trienekens aber auch all die Hilfsaktionen im Blick, für die Bruderschaften Jahr für Jahr aus Sammlungen und Aktionen Spenden zur Verfügung stellen. Für Kinder in Not oder gegen die Pest im Kongo zum Beispiel.
„Jedes Projekt bekommt pro Jahr mindestens 10.000 Euro“, sagt der gelernte Stahlkocher und rechnet vor: Letztes Jahr seien dafür 2,8 Millionen Euro zusammengekommen und 290.000 Stunden ehrenamtlich geleistet worden. All die kleinen Hilfsaktionen vor Ort sind da noch gar nicht mitgezählt: für die Afrika-Missionarin aus der eigenen Gemeinde, den Kindergarten um die Ecke oder das Hospiz in der Nähe.
Die St.-Johannes-Schützengilde im oldenburgischen Garrel zum Beispiel sammelt beim Schützenfest-Gottesdienst regelmäßig Spenden für Priesternachwuchs im Ausland. Ebenso wichtig ist für Paul Horst aber der Einsatz der 1400 Mitglieder für ihr eigenes Dorf. „Ohne sie würde uns eine Generationen und Konfessionen übergreifende gemeinsame Gemeinschaft fehlen“, sagt der Pfarrer. „Die Kompanien sprechen zum Beispiel Neubürger gezielt an, um sie in ihre Gemeinschaft zu integrieren. So bringen sie Menschen miteinander in Kontakt, damit sie Heimat erfahren können.“
André Heinze aus dem westfälischen Horstmar hat bei sich vor Ort ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Der 39-jährige Familienvater steht als „Diözesan-Jungschützenmeister“ an der Spitze der rund 6000 Mitglieder der St.-Sebastianus-Schützenjugend (BdSJ) in den 195 Bruderschaften im Bistum Münster. Für ihn ist Heimat wichtig: „Das ist mein Umfeld, wo ich mich wohlfühle, wo ich Spaß und Freunde habe.“ Und das Schützen am Herzen liege.
Auch Heinze muss sich ab und zu Vorurteile anhören. Etwa, dass es den Mitgliedern nur ums Schützenfest gehe. Wie er dann reagiert? „Ich weise dann darauf hin, was von den Schützen über das ganze Jahr hinweg an sozialen Leistungen erbracht wird. Da sind die Jugendlichen mit ihrer Jugendarbeit, mit Ferienfreizeiten, Gruppen und Trainingsabenden für Fahnenschwenker. Dazu das ganze soziale Engagement.“
Die Jungschützen der mehr als 500 Jahre alten Horstmarer St.-Katharina-Bruderschaft haben bei der 72-Stunden-Aktion der katholischen Jugendverbände die Ärmel aufgekrempelt, kümmern sich mit einer Müllaktion um saubere Straßen und Wege im Ort und sammeln nach den Feiertagen gegen eine Spende Weihnachtsbäume ein. „Das alles hat ja durchaus mit Heimatliebe zu tun“, sagt Heinze.
Den Schützen ist dabei allerdings eine klare Kante wichtig: Niemand darf diese Heimatliebe missbrauchen! Die Schützenjugend hat dazu unter dem Motto „Schützen gegen Rechts“ eine Arbeits- und Argumentationshilfe erstellt. Sie soll gegen Versuche radikaler Parteien helfen, die mit dem Verweis auf angeblich ähnliche Interessen versuchen, Schützen zu vereinnahmen.
„Gerade in der heutigen Zeit, in der rechte Populisten unter dem Deckmantel der Heimatverbundenheit Grenzen abschotten wollen und Fremdenhass schüren, zeigen wir, dass unser Heimatbegriff auf Miteinander setzt und nicht auf Ausgrenzung“, hat Deutschlands oberster Schützenbruder, Bundesschützenmeister Emil Vogt, bei der BDHS-Mitgliederversammlung Anfang März in Leverkusen zu dem Thema erklärt.
Heimat als Miteinander – darauf kommt es auch einer der kleinsten Bruderschaften an, den rund 150 St.-Peter-und-Paul-Schützen im oldenburgischen Hagstedt, einem Dorf bei Visbek im Landkreis Vechta. Auch hier übernehmen die Schützen Verantwortung.
„Für die Müllsammel-Aktion kommen alle mit Autos und Anhängern und wollen helfen“, sagt der Leiter der Jugendabteilung, Jungschützenmeister Daniel Wegmann. Jedes Jahr organisiert die Bruderschaft ein Kinder-Zeltlager. Heiligabend verkürzen Gruppenleiter nachmittags die Wartezeit aufs Christkind. Bei der 72-Stunden-Aktion haben die Jungschützen den Dorfteich umgestaltet und nach einem Wohltätigkeits-Schießen für den guten Zweck 550 Euro an die Kinderkrebshilfe in Vechta übergeben.
Natürlich gehört auch in Hagstedt das Schützenfest mit seinen Traditionen dazu, durchaus auch mal ein paar Bier mehr. Daniel Wegmann sieht in so einer Ausnahme kein großes Problem. Auch den bei manchen Schützen dann getragenen Anstecker „Achtung Schützenfest“ mit der Zeichnung eines offensichtlich betrunkenen kriechenden Schützen nimmt er locker. „Es sind ja nur drei Tage im Jahr, an denen man mal alles von sich abfallen lässt.“
Und eben drei Tage, die wichtig sind für den Bezug zur Heimat, vor allen Dingen bei denen, die wegen Beruf oder Studium weggezogen sind und extra Urlaub nehmen. André Heinze freut sich darüber, „wenn die einmal im Jahr sagen: Zu Hause ist Schützenfest. Da treffe ich alle meine Freunde, da will ich hin!“